Ochsentour


August 2014, Rumänien

Wir stehen am Ende einer Asphaltstraße. Noch mitten in einem Dorf, aber die Straße geht hier nur noch als Schotterweg weiter. Kurzes Zögern. Dann entscheiden wir, weiter zu fahren. Schließlich sind wir auf der sehnsüchtigen Suche nach einem Campingplatz. Mal wieder. In unserer Karte ist hier einer eingezeichnet. Wahrscheinlich gleich hinter der nächsten Kurve.

Zwanzig Kilometer später stirbt dann auch die Hoffnung. Bis hierhin hat uns der Optimismus getragen. Und unser zuverlässiger Bus. Inzwischen suchen wir keinen Campingplatz mehr, sondern einfach nur eine asphaltierte Straße. Die letzten Kilometer haben uns den Rest gegeben. Wir haben uns über huckelige Pisten gequält und sind durch kleine, fast ausgetrocknete Seitenarme eines Flusses gefahren. In der fünften Senke treffen wir auf einen alten Mann mit einem Ochsenkarren. Als wir ihn fragend anschauen und nach vorne zeigen, winkt er zuversichtlich in die Richtung. Und wir verstehen, dass wir dort endlich bald auf eine Straße treffen. Seinen kurzen Seitenblick auf unser Auto verstehe ich erst, als wir uns aus dem Flüsschen wieder auf die nun steil ansteigende Schotterpiste bewegen. Nach wenigen Metern drehen die Reifen durch. Ein paar Mal versuchen wir es noch, aber der Bus gräbt sich eher weiter in den Untergrund als ihn hinter sich zu lassen. Keine Chance. Inzwischen steht der Mann mit seinem Karren hinter uns. Ich gebe ihm ein Zeichen, dass wir umdrehen müssen. Er verzieht das Gesicht und beginnt, sich an seinem Karren zu schaffen zu machen. Dann geht er kurz nach vorne vor unseren Wagen, steckt einen Finger durch die Abschleppseilöse und sagt mir irgendetwas auf Rumänisch. Seinen dazu gehörigen Handzeichen entnehme ich, dass er einen Plan hat. Fünf Minuten später, hat der alte Mann seine zwei riesigen, vor Kraft strotzenden Ochsen mit einer Kette vor unseren Bus gespannt. Ich stehe nur noch ungläubig den Kopf schüttelnd daneben, während Tom auf Geheiß des Mannes den Motor startet. Dann gibt der Mann ein Kommando und acht dicke Ochsenbeine stemmen sich in den Boden. Die Kette spannt sich und reißt am Bus. Der Wagen beginnt zu rollen, die Räder drehen nicht durch. Langsam arbeitet sich das Gespann aus zwei Ochsen- und 88 motorisierten Pferdestärken den Hang hinauf. Nach etwa 30 Metern gelangen die fast zwei Tonnen Bus dank der Ochsen wieder auf ein flacheres Wegstück. Der Mann gibt seinen Ochsen den Befehl zu halten, nimmt die Kette klirrend von der Wagenfront ab und führt die beiden Kraftpakete zurück zu seinem Karren. In seinem kurzen Seitenblick liegt tiefe Zufriedenheit. Hier hat die Ursprünglichkeit noch die Oberhand. Hier hat die Moderne, die sich durch das Land frisst, noch das Nachsehen. Mit Technik kommt man hier nicht weit.

Apropos “weiterkommen”: Tom gibt Gas und lenkt den Bus die nächsten Schottersteigungen ohne Reifendurchdrehen hoch. In mir kreisen Bilder von stämmigen Ochsenbeinen und glatten Asphaltstraßen. Doch hinter jeder Kurve wartet nur der nächste Aufstieg über dickes Geröll. Nach einigen Kilometern geben wir auf. Neben einem abgelegenen Hof kommen wir zum Stehen. Eine alte Frau mit einem ebeno verschmizten wie wettergegerbten Gesicht kommt durch eine kleine Holzpforte auf uns zu. Sie riecht nach körperlicher Arbeit, nach Schweiß, nach Erde. Wir halten ihr unsere Karte entgegen und versuchen zu fragen, wo wir sind und wie weit es bis zur nächsten Straße ist. Vielleicht versteht sie, was wir wissen wollen. Aber wir verstehen ihre Antworten nicht. Nehmen nur ihre in alle Richtungen zeigenden Finger wahr. Was mag das heißen? Immer wieder sagt sie etwas und schaut mich dann mit wachen Augen erwartungsvoll an. Ich zucke mit den Schultern und sage auf Deutsch, dass ich sie nicht verstanden habe. Wir lachen. Immer wieder. Dabei greift sie mir mehrfach mit angenehm festem Druck an den Oberarm. Wir vertehen uns gut, auch wenn wir kein Wort der anderen verstehen. Nach ein paar Minuten kommt ein Pferdekarren vorbei. Die Frau spricht die Männer darauf an. Einer steigt ab und wir vestehen, dass er zwar kein Englisch aber Französisch spricht. Ja, das hab ich auch irgendwann mal gelernt. Versuchen wir es also: “Nous veux aller à une rue d’asphalt.” Keine Ahnung, ob davon auch nur ein Wort richtig ist. Aber der kleine, hagere Mann mit Brille versteht, was ich meine. Er sagt, wir müssen zurück. 20 Kilometer. Bis zu dem Ort, wo wir abgebogen sind. Bis ich sicher bin, dass ich das richtig verstanden habe, vergehen noch einige Minuten voller Sprachwirrwarr. Dann winkt der Mann zum Abschied und verschwindet. Wir wenden umständlich, denn auch hierfür ist nicht viel Platz, und treten den Rückweg an. Am Straßenrand spaziert unser Helfer. Wir nehmen ihn mit und erfahren, dass er Postbote in dieser Region ist. Ein leichter Geruch von Alkohol und Schweiß erfüllt die Busluft. Etwa zehn Kilometer später, gibt er das Zeichen zum Anhalten. Er habe hier sein Fahrrad stehen. Merci beaucoup und mulţumesk. Als wir weiterfahren, staunen wir darüber, dass er 1. die letzten zehn Kilometer zufuß gegangen wäre, wenn wir ihn nicht mitgenommen hätten, und 2. dass er auf diesen Wegen nun mit seinem Rad unterwegs ist.

Als die Reifen unseres Busses wieder Asphalt unter sich haben, ist das purer Genuss. Kurz fragen wir uns, ob der Motor noch läuft – so still ist es auf einmal. Den eigentlich wohlverdienten Campingplatz finden wir an diesem Abend nicht mehr. Der Ausflug hat uns tief in dieses Land vordringen lassen – das ist sicher. Ob wir das nächste Abenteuer noch einmal auf solch holprigen Untergrund angehen werden, bleibt abzuwarten.

 


Aus: www.columnbus.de | 7. September 2014 | Reiseblog 2014